In Kapitel 7, "Das 'Ace-Team' und der koreanische CIA", wird die berühmte Deutschland-Tournee von Choi Hong-his Demo-Team im Jahre 1965 beschrieben. Im folgenden Auszug aus diesem Kapitel geht es um eine andere Aktion auf (west-)deutschem Boden:
Um den Einfluss der ITF innerhalb der südkoreanischen Diktatur zu steigern, ernannte General Choi Hong-hi den Gründer des Koreanischen CIA zum ehrenamtlichen Präsidenten der International Taekwon-Do Federation und nahm weitere KCIA-Agenten in die ITF-Führung auf. Das war ein typisches Choi-Manöver: kühn, gefährlich und mit unabwägbaren Risiken verbunden. Der KCIA war inzwischen ein Staat im Staate, er unternahm hunderte von Spionagemissionen in Nordkorea und war im Kalten Krieg für die rücksichtslose Verfolgung seiner Feinde bekannt, sowohl der tatsächlichen wie auch der angeblichen (Kampfkünstler waren dabei auf allen Ebenen anzutreffen). Südkorea und der KCIA hatten die konfuzianischen Werte (…) auf eine moderne Weise neu etabliert, indem der Abstammungsgedanke durch ein Aktenarchiv und familiäre Bindungen durch Geheimhaltung ersetzt wurden, und viele Gesetzesänderungen der Regierung stammten ursprünglich von hier; der KCIA hatte Millionäre auf dem Gewissen, spähte die eigenen Bürger aus und unterstützte ausgewählte Theater, unterhielt ein Orchester und besaß ein großes Tourismuszentrum. Ganz ähnlich erfand Tae Kwon Do die alten Hwarang-Krieger auf moderne Weise neu – aus Kampfkünstlern wurden Spione.
Ein Problem für Choi war, dass der KCIA die eigenen Bürger in zunehmendem Maße schikanierte und quälte. Aktionen gegen Kommunisten waren eine Sache, aber südkoreanische Politiker oder normale Bürger foltern, nur weil sie eine andere Meinung hatten, war etwas ganz anderes. Jeder Koreaner kannte die Geschichten über KCIA-Verhöre, in denen Menschen mit Stahlrohren verprügelt und ihnen mit nassen Tüchern die Luft abgewürgt wurde. Trotzdem erhielt Choi die Verbindung zum KCIA eine Zeit lang aufrecht. Während etwa 1966 tausende unschuldiger Koreaner eingekerkert waren, gab ein ehemaliger KCIA-Direktor einen Umtrunk für Choi in einem Gisaeng-Haus.
Dann wurde Choi aber schlagartig klar, dass er nicht in derselben Liga spielte wie der KCIA. Im Jahre 1967 waren mit Kim Kwang-il und Lee Gye-hoon zwei seiner Tae Kwon Do-Pioniere in Westdeutschland an einer geheimen Aktion beteiligt, bei der insgesamt 203 Koreaner in sieben Ländern entführt und nach Korea verschleppt wurden – eine surreale Operation, die sogar General Choi aufschrecken ließ.
Die Ostberlin-Affäre
Es fing alles am 17. Juni 1967 in Westdeutschland an, damals noch der Tag der deutschen Einheit. Ein Offizieller der südkoreanischen Botschaft rief beim bekannten koreanischen Komponisten Isang Yun zuhause in Westberlin an und bat ihn darum, umgehend die Botschaft aufzusuchen. Yun fuhr nach Bonn, und als er in der Botschaft ankam, wurde er gepackt und auf den Dachboden gesperrt, und man drangsalierte ihn zwei Tage lang mit Anschuldigungen, er wäre ein nordkoreanischer Spion. Der Komponist wies die Anschuldigungen zwar zurück, aber er wurde nichtsdestotrotz nach Hamburg verfrachtet und in einem japanischen Flugzeug nach Seoul verschleppt – ohne Reisepass oder Flugticket.
Unterdessen war ein Brief eines Studenten der Uni Heidelberg in einer heidelberger Polizeistation angekommen, wo man bereits Gerüchte über verschwundene Koreaner vernommen hatte. In dem Brief erklärte der Student, er befinde sich „in der Situation des K“, des Mannes in Franz Kafkas Prozess, der in dem Buch verhaftet, schikaniert, verurteilt und am Ende getötet wird aus Gründen, die er nie herausfindet. Der koreanische Student fühlte sich in derselben Lage. Als die koreanischen Agenten kamen, um ihn abzuführen, versuchte er, zu fliehen und stellte dabei anhand der Art und Weise, wie sie mit ihm umgingen, fest, dass sie offensichtlich Tae Kwon Do konnten. Dann beförderten sie ihn per Flugzeug nach Seoul, wo der KCIA ihm den Prozess machte.
In Westdeutschland erfuhren die offiziellen Stellen bald mehr: ein koreanischer Student aus Heidelberg – zum Abendessen eingeladen und gekidnappt; ein Dozent der Uni Frankfurt – verschwunden; ein Arzt, ein Maler, ein Dichter und mehrere Zeitungsreporter – ebenfalls verschwunden; und sie alle waren Korea-Deutsche. Insgesamt wurden mehr als fünfundvierzig Koreaner in Deutschland vermisst, dazu acht in Frankreich und weitere 143 in Österreich, in den USA, in England, Australien und auch in Südkorea. Was ging dort vor sich?
Der deutsche KCIA-Chef Yang Doo-wan wusste Bescheid. In seiner Tarnung als Botschaftsrat leitete er den Einsatz in Deutschland, der nur Teil war einer umfassenderen Operation von zwei Abteilungen des KCIA, der Dritten (verantwortlich für Gegen- und Antispionage) und der Sechsten (vertraut mit unsauberen Tricks, Sabotage und Attentaten). Yang verhaftete rebellierende Studenten und Künstler, allesamt Gegner des südkoreanischen Präsidenten und des KCIA. Das waren die turbulenten 1960er: Vietnamkriegsgegner demonstrierten in den USA und in Europa, der Kalte Krieg war auf dem Höhepunkt, und der KCIA hatte falsche Anschuldigungen darüber ersonnen und aufgebauscht, dass Studenten in Europa einen Nebenjob als nordkoreanische Agenten unterhielten. Yang hatte fünfzig zusätzliche KCIA-Agenten angefordert und koreanische Tae Kwon Do-Trainer und Bergarbeiter angeheuert (die Tae Kwon Do inzwischen nach und nach in Europa eingeführt hatten). Er hatte auch ein Flugzeug organisiert, das den Abtransport der Entführungsopfer von Deutschland nach Seoul besorgen sollte. Dort angekommen, wurden die Entführten zum Namsan gebracht, dem bewaldeten Hügelberg inmitten Seouls, heute ein beliebtes Tourismusziel. Damals befand sich dort die Zentrale des KCIA mit ihren Folterinstrumenten im Keller, die mit Menschen alles Mögliche anstellen konnten, außer Männer in Frauen und Frauen in Männer zu verwandeln.
Auf einmal wurde General Choi klar, dass Tae Kwon Do in die Massenentführungen verstrickt war. … |